Claudia Walther

 
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    Namaste Jamal Fine Arts Inkjet Print on Canvas 2014 100 x 160 cm

    Der Vorhang - von Gisèle Mengis, Luzern

    Vorhang auf, Vorhang zu. Hervortreten aus den Vorhängen und den Vorhang öffnen: Licht zeigt sich und Raum, feine, im Wind wehende Stoffe. Luftiges Gewebe, Kette und Schuss.
    Hinter den Vorhang treten: der letzte Vorhang, The Final Curtain. Vorhänge und Jalousien verbergen, verdunkeln. Schwere Stoffe, goldgewirkt, Brokat, schützen Geheimnisse. Dazwischen ein Menschenleben.
    Gemalte Vorhänge im untersten Bereich der alten Fresken. Das feuchte Substrat verdeckend und die brodelnde Biosphäre. Im Schleimigen sich teilen und wieder vereinigen. Dünste verströmende Lebenssuppe, ziemlich zugedeckt durch einen Vorhang. Darüber entwickelt sich die Heilsgeschichte; Propheten und Dichter, Engel und weise Frauen treten auf.
    Ein Mensch wird geboren, verlässt seine Fruchtblase und windet sich aus dem Mutterkuchen hinein in die Welt. Könige applaudieren. Später wird das Kind verfolgt und umgebracht. Es braucht ein Grabtuch, einen Schutz für seinen toten Körper. Die Mutter mit dem blauen Umhang hält ihren Sohn im Schoss.
    Oder dies: Hauchdünne kleine Vorhänge! Ob es Lucrezia sei oder Venus, Salome oder Judith, sie bedecken ihre nackte Schönheit mit einem durchsichtigen schmalen Vorhang, Cranachs Reizwäsche.
    Der Vorhang ist eine Grenze. Er trennt das Aussen vom Innen, das Intime vom Voyeur. Von hinter den Vorhängen nach vorne gehen heisst, an das Vorne des Saals zu stossen. Hier ist die Wasserscheide der Wogen, die durch das Theater gehen. Beim Auftritt trifft der Akteur auf den Zuschauer. Der Blick der einen richtet sich auf das Spiel der andern.
    Picassos junge Damen aus Avignon spielen mit den Betrachtenden und zeigen sich zwischen Vorhängen. So wie das schon Raffaels Sixtinische Madonna macht, wenn sie inmitten eines Fluidums von Engeln auf die Bühne der Welt tritt, begrüsst von Papst Sixtus II und der Hl. Barbara: ein grüner Vorhang öffnet sich für sie und das Pfand, das sie in den Armen hält.
    Besonders verehrte Bilder werden von Vorhängen bedeckt. Von Vorhängen oder deren Ersatz. Ausdrücklich bekannte sich Gustave Courbet zum Realismus. Was ist Realität? Zutiefst real ist das Heraustreten des Menschen aus den schützenden Sphären des vorgeburtlichen Lebens in die Kühle der Welt. Real und wahr ist dieser exponierte Schoss, bereit für die Aufnahme und später für die Herausgabe des Lebens.
    Der Psychoanalytiker Jacques Lacan liess einen doppelten Rahmen bauen für L`Origine du Monde.
    Für das berühmte und provozierende Bild malte André Masson eine in den Hauptlinien identische Landschaft als Cover. Nur gelegentlich zu sich Jacques Lacan zurück, um L`Origine du Monde zu enthüllen und zu betrachten.
    Heute, im Musée d`Orsay, ist das Bild allen Blicken ausgesetzt, bewacht von einer besonderen, ihm zugeordneten Person.
    Vorhang. Claudia Walther schuf eine Reihe von Bildern, in denen der Vorhang die vertikale Grenze bildet, aus der ein Mensch hervorgeht. Mit dem Kopf voran liegen diese Menschen da, schön, gefährdet, verletzbar. Manche Bilder sind in dunklen, tonigen Farben gehalten, aufgehellt von Kunstlicht, das gezielt eine dramatische Regie führt und an Caravaggios Szenen erinnert. Bei andern dominiert ein kühles Weiss, Morgenlicht.
    Die Perspektive wird im ankommenden Menschen eingelöst, dessen Herkunft aber bleibt hinter dem Vorhang verborgen. Rätselhafter Vorgang ...

    Gisèle Mengis 2013